Die Entdeckung des ICHs


 „Verrate mir dein Geheimnis“. Meine Seele fragt meine Haut, „wie heilst du so schnell?“.


„Es kommt darauf an“, zögert die Haut. „Manchmal nehme ich den Schmerz auf mich, und 

manchmal gebe ich ihn an dich weiter.“


„Wie meinst du das?“, antwortet die Seele. „Du gibst den Schmerz an mich weiter?“


„Ja, manchmal gehen Dinge eben unter die Haut.“ Es herrscht einen Moment lang Stille. 


„Ich verstehe. Aber trifft es dich nicht als Erster, wenn die Verletzung kommt? Du bist der 

Schutzschild des Körpers. Du beschützt uns und nimmst Wunden und stärkere Verletzungen 

auf dich.“, sagt die Seele. „Jetzt sag schon, wie heilst du so schnell?“


„Es liegt eben in meiner Natur. Ich will angefasst werden, Ich will Berührungen zulassen und 

ich will mich spüren. Wenn es sein muss, möchte ich verletzt werden.“


„Das heißt, du bist so sehr daran gewöhnt, aufzureißen und berührt zu werden; In jeder 

deiner Faser zu zerbrechen, um dich dann wieder zu heilen?“


Und die Haut betrachtet die Seele einen Moment lang, während sie gemeinsam im weißen 

Raum leise Kreise ziehen. Es dauert nicht lange, da fragt die Haut: „Wieso brauchst du so 

lange, um zu heilen?“


„Mit mir ist es anders. Ich bin zerbrechlich und stark, an nichts und niemanden gebunden 

und trotzdem bin ich ein Teil des Körpers. Ich bin im Himmel und auf Erden, weshalb mir 

himmlische Stärke geschenkt und erdenhafte Sehnsüchte gegeben wurden.“


„Ich verstehe nicht ganz, was wurde dir gegeben und vor allen Dingen von wem?“


„Das weiß ich selbst nicht so genau. Ich taumle hier schon eine ganze Weile herum. Ich 

erlebe viel und verzeihe wenig. Und selbst wenn ich verzeihe, vergesse ich niemals. Deshalb 

fällt es mir so schwer zu heilen, denn alles, was die Seele berührt, wird ein Teil von ihr.“

Die Haut zögert zu fragen, es liegt ihr auf der Zunge. Sie setzt sich laut und unkompliziert auf 

den weißen Boden. Die Seele schwebt hinab und setzt sich ebenfalls. „Hat dich Marie einmal 

berührt?“


Die Seele lacht und für einen kurzen Augenblick ist der weiße Raum mit gelben Strahlen 

erfüllt. Es ist lange her, seitdem der Körper über sie gesprochen hat. „Marie berührte mich 

und so durfte ich ihre Seele kennenlernen. Es war schön, aber jetzt ist es vorbei.“


„Bist du nicht mehr in sie verliebt?“ fragt die Haut.

„Verliebt“?


„Ja verliebt! Ich bin es nämlich. Ich will sie wieder einmal spüren und an meinen Körper 

reiben. Ich will über ihre Haut streicheln und mich mit meiner Nase in ihren Haaren verlieren. 

Ich vermisse ihre Berührungen in meinem Gesicht.“ Traurig und enttäuscht breitet sich die 

Haut auf dem Boden aus. Sie starrt an die Decke, während die Seele in ihren Blickwinkel tritt.


„Ich kann mich gar nicht verlieben und auch du bist nicht im Stande zu lieben. Du begehrst 

die Haut anderer, während ich die Seele anderer fühlen kann. Aber lieben, das kann nur das 

Herz. Der Schatz unseres Seins ist tief im Herzen vergraben.“


Die Haut beginnt sich aufzuraffen und hadert mit dem Versuch diesen Satz von sich 

abzustreifen. „Ich kann mich nicht verlieben?“, denkt sie sich.


Und als hätte es jemand gerufen, ertönen leise Schritte. Die Tür zum weißen Raum öffnet 

sich, das Herz tritt hinein. „Ihr habt nach mir gefragt und hier bin ich nun“. Kaum betritt das 

Herz das Zimmer, verwandelt sich weiß in orange. Plötzlich fühlt sich die Haut berührt und 

die Seele gefühlt, alles scheint in Harmonie zu sein, bis das Herz über seinen Herzschmerz 

plagt.


„Ihr habt mich beide an Marie erinnert. Die Frau, die mich zerbrochen zurückließ. Seitdem 

versuche ich von selbst zu heilen. Doch es gelingt mir nicht.“


„Das verstehe ich nicht“, antwortet die Haut. Lasst uns doch einfach nach dem nächsten Kick 

suchen. Es gibt nichts Schöneres als sich zu fühlen. Marie hatte einen tollen Körper, aber es 

gibt viele andere schöne Körper da draußen.“


Die Seele schüttelt den Kopf: „Du vergisst, dass ich mich erst von den Erfahrungen erholen 

muss, während du nach Sensation Ausschau hälst. Aber was ist mit dem Herzen los, frage ich 

mich.“


Die Seele und die Haut sitzen auf dem Boden, während das Herz sich auf einen Stuhl setzt.

Das Herz weiß nicht, was es darauf antworten soll, woraufhin die Seele das Schweigen bricht.


„Das Herz ist der Grund, weshalb der Körper überlebt, es pumpt Blut durch den Körper und 

hält es am Leben. Doch wenn das Herz so stark ist, warum kann es dann so leicht gebrochen 

werden?“


„Es muss gebrochen werden, damit es stärker wird. Aber es gelingt mir nicht immer zu 

heilen.“, antwortet das Herz. „Alles hat seine Zeit, versteht ihr?“


„Ich wohne in deinem Inneren mein Herz, ich verstehe, was du meinst, und kann deinen 

Schmerz über Marie nachvollziehen.“


„Ich bin im Stande zu verzeihen, aber es ist nunmal einfacher, dies eben nicht zu tun. So viele 

Frauen haben mich bereits gebrochen und eigentlich sollte ich daraus lernen. Ich habe keine 

Lust mehr mich zu öffnen.


„Aber dieser Hass macht mich gefühlslos“, antwortet die Haut.


„Dieser Hass zerdrückt mich“, gibt die Seele zu verstehen.


„Ich muss an mich denken. Ich werde niemanden mehr in mich hineinlassen und keine Liebe 

mehr empfinden.“. Die Seele sinkt nun ganz zu Boden und liegt in derselben schrägen 

Position wie die Haut. Verzweiflung macht sich breit sowie die Angst nie wieder eine ähnliche 

Erfahrung mit einem anderen Menschen zu teilen.


„Vielleicht sollten wir das ICH befragen.“, wirft die Seele in den Raum. Die Wände des weißen 

Raums werden kleiner, die Decke niedriger. Alles scheint so eng zu sein.

Haut und Herz fragen sich, wer das das sein soll.


„Die Haut umgibt und schützt uns. Sie ist oft das Medium, mit dem wir fühlen und lieben. Ich 

hingegen wohne in dir mein Herz, währenddessen das ICH in mir wohnt. 


„Wenn es uns helfen kann, dann hol es her!“, gibt die Haut lautstark zu verstehen.


„Was kann dieses ICH?“, fragt das Herz skeptisch.


„Es kann uns daran erinnern, für was wir geschaffen wurden. Aber ihr müsst mir helfen, ich 

kann es nicht von selbst herholen.“


„Was müssen wir tun?“. Haut und Herz sitzen nun beide auf einem Stuhl, während die Seele 

mit leichten Kreisen nach oben schwebt. Mit hoffnungsvoller Absicht schiebt sie die Decke 

ein Stück nach oben. Die Drei haben die Luft zum Atmen, die sie brauchen.


Die Seele fügt hinzu: „Öffne dich mein Herz und du breite deine Arme auf meine Haut.“


Die Drei sitzen auf einfachen Stühlen und geben das Zeichen, dass sie verstehen. Der Raum 

vibriert, Decken und Wände weiten sich weiter aus, nie dagewesene Fenster öffnen sich und 

lassen frische Luft hinein. Gebündelte Energie findet ebenfalls den Weg durch die Fenster. 

Mit bebender Kraft türmt sich eine Identität auf. Es scheint sie nicht zu stören, dass sie im 

Mittelpunkt des Stuhlkreises steht. 


„Ihr habt nach mir gefragt?“, spricht das ICH in klarer Sprache.


Unsicher rückt die Haut einige Zentimeter mit ihrem Stuhl nach hinten. Die Seele beginnt zu 

sprechen.


„Wie heilst du so schnell? Wir sind gebrochene Wesen und brauchen deinen Rat.“


„ICH bin ich und ihr seid ich. Ihr seid alle ein Teil eines größeren Seins. Ich kenne euren 

Schmerz, ich trage ihn in mir. Doch ich muss euch gestehen, ich heile nicht.“


Verdutzt schauen die Drei auf das ICH. „Aber was sollen wir tun?“, seufzt die Haut.


„Ich kann nicht heilen, weil ich nur mehr wachsen kann. Umso mehr ihr drei zerbrecht, desto 

größer kann ich werden. Die Erfahrungen, die ihr macht, definieren mich.“ Nun wendet sich 

das ICH an die Haut.


„Pass auf wem du dich zeigst, aber sei mutig dich zu zeigen. Empfinde keine Scharm, und sei 

offen dafür Berührungen zu empfangen sowie zu geben.“ Die Haut versteht und nickt. Nun 

dreht sich das ICH zum Herzen.


„Wenn du dich nicht öffnest, wird meine Existenz dich erdrücken. Sie ist wie Wasser, das ein 

Loch füllt. Wenn du der Welt nicht so begegnest wie du bist, füllt sich alles um dich herum 

mit Wasser auf. Natürlich könntest du verletzt oder ausgenutzt werden. Aber der Preis, den 

du bezahlen müsstest, wenn du kein offenes Herz behältst, wird darin bestehen, dass wir alle

den Zugang zu unserer Lebendigkeit verlieren. Sei offen und lebe mit dem Risiko getroffen zu 

werden. Nur dann gelingt es mir, von Herzen zu sprechen. Die längste Reise des Lebens ist 

die vom Kopf bis zum Herzen. “ Das Herz versteht und dankt. Nun richtet sich das ICH an die 

Seele.


„Wenn die Haut und das Herz Liebe in sich hineinlassen, dann musst du noch einen Schritt 

weiter gehen. Denn wir müssen die Schönheit hereinlassen, während wir leiden. Lass 

göttliche Liebe in dich hineinfließen, und berühre die Seelen anderer. Dies ist unsere 

Aufgabe: Uns mit den Seelen anderer zu verbinden und uns zu verschenken, gleichgültig ob 

wir dabei verletzt werden können.“


Die Drei verspüren eine magnetische Anziehungskraft, die nicht in Worte gefasst werden

kann. Die Stühle zittern, Fenster werden größer und der weiße Raum nimmt allmählich Farbe 

an. Ein Knistern wird zu einem Rauschen und vier Entitäten werden zu einer - ein Charakter 

wird geboren.



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