Tanz



Das leerstehende Haus mit seinen verstaubten Vorhängen macht mich noch wahnsinnig. Ich sitze auf einem der Stühle in meinem Esszimmer und fühle nichts. Ich denke an die letzten Tage und fühle nichts. Dann erinnere ich mich und fühle das Drehen der Welt – wie schnell sie sich doch dreht. Es ist uns in so wenigen Augenblicken bewusst, wie schnell die Zeit vorbei weht und Chaos hinterlässt. Ich fühle die Hand meines Mannes, die meine linke, nackte Schulter berührt. Sie ist angenehm warm und ein wenig rau. Er sollte weniger arbeiten. Das Arbeiten auf dem Bau bringt ihn noch um – es bringt mich um!

Das Zimmer ist erfüllt von warmem, rotem Licht, während mein Mann durch die weiße Tür stapft. Er geht seinem täglichen Ritual nach, indem er mir ein "Guten Mittag!" zuruft und gelassen in die Küche geht, um sich dann ein doppelten Espresso zu machen. Ich sitze, wie immer, auf einer der Stühle im Esszimmer, da ich dort am besten meiner Angewohnheit nachgehen kann. An diesem scheinbar unbedeutenden Ort, habe ich schon einige erfolgreiche Bücher verfasst. Ich sitze also da, damit ich fleißig an meinem nächsten Roman schreiben kann. Meistens stehen zwei oder drei Kaffeetassen neben mir – ich habe keine Ahnung, warum ich nicht immer dieselbe benutze? Nun sitzt mein Mann mit seinem doppelten Espresso gegenüber von mir am Küchentisch und erzählt mir von den gefährlichen Geschichten, die er an diesem Tag erlebt hatte. Ich sage ihm dann immer, dass ich sie nicht hören will, doch er redet einfach fleißig weiter... Er wollte mich wahrscheinlich ärgern, weil er genau weiß, wie viele Sorgen ich mir tagsüber mache wenn er weg ist.

Mittlerweile ist es schon Abend geworden und ich sitze immer noch in der selben schrägen Position am Küchentisch. Mein Mann steht in dem Eingang zur Küche und kreuzt seine Arme, so wie er es immer tut. Er lächelt mich dann nur an und sagt etwas wie: „Du solltest auch mal was anderes machen, außer schreiben...“ Ich bringe daraufhin immer einen blöden Spruch über seine Charakterschwächen und wir beide lachen zusammen. Es dauert nicht lange, da macht er die Musikanlage an. Er schaut mich mit diesem einen Gesichtsausdruck an, bei dem seine Augen funkeln, woraufhin ich schlagartig zu lächeln beginne. Gleichgültig, wie sehr ich es mir auch verkneifen möchte, es hilft nichts.

Die Welt dreht sich und mit ihr, das Gefühl, Gewohnheiten endlich wertzuschätzen. Wir brauchen sie und dennoch bemerken wir sie kaum. Sie sind einfach da, weil sie das widerspiegeln, was wir tief in unserem Inneren brauchen. Wir klammern uns an ihnen fest und sind glücklich, dass es sie gibt.

Die Musik ertönt und mein Mann beginnt zu tanzen. Langsam bewegt er sich in Richtung Küche, während er mir tief in die Augen schaut. Ich sage dann immer, dass ich noch mit dem Kapitel fertig werden muss, doch er kommt unbeirrt näher, als würde er gar nicht hören, was ich gesagt habe. Er tanzt so verrückt, dass sich niemand das Lachen hätte verkneifen können. Er kreist einmal um den Küchentisch, umarmt mich dann ganz fest von hinten und streckt mir dann seine Hand hin. Ich habe zu diesem Augenblick schon längst die Schreibdatei gespeichert und die Seite geschlossen, weil mir sein tägliches Vorhaben bewusst war. Ich greife nach der Hand und spüre wieder seine warme und doch sehr raue Hautoberfläche. Er geht voran und führt mich behutsam zum Wohnzimmer. Ich weiß noch genau, dass wir uns nur aufgrund des großen Wohnzimmers für dieses Haus entschieden haben. Tanzen war schon damals alles für uns gewesen. Ein klassischer Walzer ertönt und mein Mann drückt mich ganz nah an seinen Körper. Seine linke Hand nimmt meine Rechte, während er seine rechte Hand an meine Taille legt. Es verursacht sofort ein erregendes Gefühl in mir. Wir beginnen im Takt zu schwingen, woraufhin wir uns im Kreis drehen. Wir drehen uns wieder und wieder im Kreis.
Meine Welt beginnt sich in die andere Richtung zu drehen. Das unwirkliche Gesicht meines Mannes leuchtet, wie  einer der Sterne am Firmament. Zu diesem Stern sehe ich jede Nacht auf. Ich fühle mich so glücklich und vergesse meine Arbeit, während wir uns wieder und wieder drehen. Meine schulterlangen Haare wehen ihm ins Gesicht. Es macht ihm nichts und wir tanzen weiter. Es dreht sich alles. Ich sehe den Hintergrund verschwommen. Nur unsere lachenden Gesichter können wir klar erkennen.

Seine Hand greift nun fester an meine Taille, während sich seine Hand hebt, um eine Drehung einzuleiten. Ich drehe mich einmal um meine eigene Achse und kann mir noch immer das Lachen nicht verkneifen, sodass man meine strahlenden Zähne sieht. Ich schließe meine Drehung ab und bleibe einfach stehen. Mitten im Wohnzimmer.

Plötzlich stockt die Musik, als wäre sie nie da gewesen. Auch das Gefühl, jemand würde meine Taille berühren, verschwindet, als hätte sie nie irgendjemand berührt. Auf einmal verschwindet das leuchtende Licht aus dem Haus, als wäre es nie da gewesen.

Ich sehe zum letzten Mal das Gesicht meines Mannes, als wäre er immer da gewesen.

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