Das Geheimnis







Die Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle, ist nicht einfach. Sie wiederzugeben erfordert starke Konzentration und eigentlich will ich sie ihnen auch nicht erzählen. Ich hadere seit langem damit und bin trotzdem irgendwie froh, sie endlich jemandem erzählen zu können, auch wenn mir dies schwer fällt.

Ich höre ihnen zu, fangen wir an.

Diese junge Frau mit ihrer lockeren Schleife im Haar, ich weiß nicht warum Sie sich zu dieser Zeit noch dort aufhielt. Ich weiß ja selbst nicht mehr, warum ich da an diesem Fenster stand. Ihr Mantel ging nur kurz über ihre Knie und ließ offen, welche Art von Kleidung sich unter diesem mysteriösen Anzug verbarg. Jedenfalls hatte ich sie durch diese schmutzige Glaswand gesehen, das weiß ich noch. Sie stand dort häufig an der Straße, während sich der Inhalt vielzähliger Zigaretten zu starkem Qualm in der kalten Luft auflöste. Ich habe ihn damals verfolgt, bis er sich unter dem Licht dieser Straßenlaterne direkt gegenüber von meinem Haus verflüchtigte. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das mache ich gern.

Fahren Sie fort.

Das war nicht das einzige Mal, dass ich sie sah. Auch am nächsten Abend stand sie dort am Straßenrand mit ihrer dämlichen Schleife im Haar, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass die Schleife drohte, sich jeden Augenblick von ihrem zarten Kopf zu lösen und langsam auf dreckigen Boden zu fallen. Einmal, da schaute sie tatsächlich mal zu mir hoch, wahrscheinlich hatte sie sich beobachtet gefühlt. Sofort zog ich den Vorhang zu und trat einen Schritt von der Fensterbank weg. Vielleicht habe ich mich ertappt gefühlt, oder so.  Als ich den Vorhang dann wieder langsam aufzog, war sie verschwunden und das brachte mich zum Nachdenken. Wo war dieses zauberhafte Etwas? Hatte sie sich versteckt, oder wurde sie von Jemandem gegen ihren Willen mitgenommen?

Was passierte danach?

Ich habe sie nie wiedergesehen. Wahrscheinlich ist sie umgezogen. zumindest für eine Zeit lang. Falls sie mich fragen, es lagen ungefähr zwei Jahre dazwischen. Eine ungewöhnlich lange Zeit für Jemanden wie mich, der ständig alleine ist. Ich weiß nur nicht, ob ich mich daran erinnern möchte.

Gab es ein Wiedersehen?

Indirekt schon. Sie hatte mich nicht gesehen, als wir uns begegnet sind. Eines Tages fuhr ich mit meinem Motorrad die Third Avenue entlang und da lief sie einfach auf dem Bürgersteig, um geradewegs in den Park abzubiegen. Vor allen Dingen hatte sie dieselbe schräge Schleife im Haar, wie das letzte Mal. Vielleicht ein Trugbild, dachte ich mir. Immerhin sind sehr viele Jahre vergangen und es hätte ja auch jemand anderes sein können. Also bog ich links ab, um auf dem Grasgrund des Parkeingangs zu parken. Jedenfalls stieg ich ab, setzte meinen nervigen Helm ab und verfolgte sie. Ich kannte ihren Namen nicht, doch von hinten sah sie noch viel schöner aus, als von vorne. Ich war mir unsicher, ob sie es tatsächlich hätte sein können, weshalb ich ihr weiterhin hinterher lief. Ich war einfach neugierig – nicht, dass sie denken, ich wäre verrückt, oder so. Plötzlich wachte ich wie aus meinen ganz eigenen Gedanken auf und versah mich in der U-Bahn-Station mit ihr. Sie lief geradewegs zu ihrem Gleis, um wahrscheinlich nach Hause zu fahren. Sie wartete dort, den Rücken zu mir gedreht, während ich wieder damit rechnete, dass sich jeden Augenblick ihre Schleife zu lösen beginnt.

Erst jetzt nahm ich wahr, dass sie eine Tasche bei sich trug, welche sie fest unter ihren Armen versteckt hielt. Ich wollte unbedingt wissen, was so wichtig wäre, dass man es in einer geheimnisvollen Tasche mit sich rumschleppte. Was war in dieser zwar kleinen, aber dafür umso interessanteren Tasche? Verdammt, ich wollte es wissen! Unauffällig stieg ich in dieselbe Bahn wie sie, um das Geheimnis dieser Frau zu lüften. Den Kopf leicht nach unten gesenkt, versuchte ich sie aus dem Augenwinkel weiterhin zu beobachten. Es war schwer meinen Blick von dieser Schleife abzuwenden, glauben sie mir. Nur ungefähr zehn Meter spannten sich wie ein unsichtbares Seil von ihr bis zu mir. Elektrisch aufgeladene Nähe, die nach dem ersten Öffnen der Doppeltüren, ein vorzeitiges Ende nahm. Was nun?

Haben Sie sie bis nach Hause verfolgt?

Ich musste es tun, schließlich wollte ich die Wahrheit dieser mysteriösen Frau aufdecken. Mich erregte die Vorstellung, zu wissen, was sich in ihrer Tasche verbarg. Vielleicht das übliche Frauenzeugs, vielleicht aber auch Staatsgeheimnisse, oder eine Waffe. Was arbeitete sie? Ich glaubte zu wissen, dass sie keinen konventionellen Beruf ausübte. Der glühende Schimmer dieser Frau, erhellte die ganze Nachbarschaft. Nein. Es lag definitiv an diesen romantisch aufgeladenen Gegenständen, die mich zu einem Inkognito in einer vermeintlich fremden Gegend machten. Meine Augen weiteten sich mehr und mehr, während meine Beine sich selbstständig machten. 
Ich lief ihr entschlossen hinterher und bemerkte, dass hier keine Menschenseele mehr war. Die Häuser kamen mir bekannt vor. Sie ging weiter, warf ihre Zigarette weg, welche sie mit einer schnellen Fußbewegung austrat und suchte schließlich nach ihrem Schlüssel, den sie komischerweise in ihrem Mantel zu finden versuchte. Die braune Tasche blieb ungeöffnet. Ich fragte mich seit sie eines Abends vor meinem Haus stand, wie sie so plötzlich verschwinden konnte, in jener Nacht. Jedenfalls schritt sie ganz langsam die Treppen zu Tür hinauf, fügte quasi in Zeitlupe den Schlüssel ins Schloss, bis dieses knackte. Die Tür war offen.

Doch erst jetzt realisierte ich, dass dies Meine Tür war, die jetzt da offen stand. Ohne irgendwas zu machen, schaute ich zu, wie diese fremde Frau in mein Haus schlich.


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